Corona-Krise #3: FDP-Kreisvorsitzender und Stadtrat Holger Hase im DNN-Interview

Erschienen am 7. April 2020 in den Dresdner Neuesten Nachrichten (Print):

1.       Wie geht es Ihnen und Ihrer Familie in Zeiten von Corona?

Alle sind gesund. Das ist, so glaube ich, zunächst das Wichtigste. Meine Frau betreut als Grundschullehrerin ihre Klasse von zu Hause aus. Ich selber wurde bis zum 20. April ins Homeoffice mit entsprechender Rufbereitschaft geschickt. Die Kinder ziehen erstaunlicherweise gut mit und ich finde persönlich, dass die Familie durch diese nicht greifbare äußerliche Bedrohung nach innen auch zusammenwächst und gestärkt wird. Bisher ist die Stimmung jedenfalls gut. Das Schwierigste wird sein, dass wir zu Ostern die Großeltern, die in der Oberlausitz leben, nicht sehen können. 

2.      Halten Sie die Restriktionen für angemessen?

Da muss man differenzieren. Manche Dinge mögen temporär notwendig und angemessen sein. Das gilt natürlich vor allem für die Bereiche, in denen sich besonders gefährdete Gruppen wie Senioren oder Menschen mit schwacher Immunität in der Öffentlichkeit bewegen. Hygiene- und Schutzmaßnahmen in Krankenhäusern oder Pflegeheimen anzupassen war ohne Frage der richtige Weg. Andere Maßnahmen, wie die Schließung von Baumärkten oder das Gezerre um die Offenhaltung der Wochenmärkte, sind für mich völlig unverständlich. Warum das Wandern in den Naherholungsgebieten, vorausgesetzt man hält sich an die vorgegebenen Abstands-und Vereinzelungsregel, verboten ist, verstehe ich nicht. Und für mich gibt es in diesem Zusammenhang noch einen zweiten Aspekt: Wer einerseits Restriktionen verhängt, muss andererseits auch alles dafür tun, dass die Menschen diese erfüllen können. Das zeigt die aktuelle Schutzmaskendiskussion. Ich kann nicht von den Bürgern verlangen, in der Öffentlichkeit Schutzmasken zu tragen, ohne gleichzeitig die Versorgung mit diesen Produkten sicherstellen zu können. Ähnliches gilt für Schutzbekleidung bei Ärzten und Pflegekräften. Es ist erschreckend, wie wenig die staatliche Gesundheitsvorsorge auf das jetzige Szenario vorbereitet war. 

3.       In Ihrer Partei kritisieren Johannes Lohmeyer oder Jan Mücke die Ausgangsbeschränkungen mit harten Worten. Teilen Sie die Kritik?

Ja, das sehe ich in vielen Punkten ganz ähnlich. Wobei ich zugeben muss, dass es auch innerhalb der FDP da kein einheitliches Meinungsbild gibt. Manche Funktionsträger der Partei sind unsicher, vertreten die Meinung, man solle jetzt bloß nicht die Behörden kritisieren und die Wirksamkeit der erlassenen Maßnahmen anzweifeln. Dabei spielt natürlich eine diffuse Angst etwas Falsches zu sagen, eine große Rolle, was angesichts der medialen Horrorberichte aus Bergamo oder New York auch nicht verwunderlich scheint. Wer will sich hinterher schon nachsagen lassen, dass er mit seiner Prognose daneben lag. Da schweigen viele lieber. 

4.      Was ist wichtiger: Die Grundrechte von Einzelnen oder die Gesundheit von vielen?

Ich glaube, dass man dies nicht gegeneinander ausspielen sollte. Selbstverständlich ist die Unversehrtheit von Leib und Leben aller Menschen ein nicht verhandelbares Gut. Aber ich sage auch ganz deutlich, dies gilt ebenso für die anderen Grundrechte. Das was wir in den letzten Wochen an Freiheitsbeschränkungen erleben mussten, ist ohne Vorbild in unserer Geschichte. Ich hätte nicht gedacht, wie schnell es möglich ist, unser freiheitliches System so aus den Angeln zu heben. Noch mehr erschreckt mich die Tatsache, dass daran in Politik und Medien kaum Kritik geübt worden ist. Natürlich müssen Regierung und Behörden in Krisensituationen schnell und effizient reagieren. Das heißt aber nicht, dass für die sogenannte „gute Sache“ alles erlaubt sein kann und muss.  

5.      Wie lange halten die Dresdnerinnen und Dresdner die Einschränkungen durch?

Aus vielen persönlichen Gesprächen der letzten Tage, die ich natürlich alle am Telefon geführt habe, konnte ich den Eindruck gewinnen, dass sich die meisten mit der Situation arrangiert haben. Was bleibt auch anderes übrig? Man akzeptiert, wenn mitunter auch zähneknirschend, die bestehenden Einschränkungen. Dies darf jedoch nicht zum Dauerzustand werden. Mit Blick auf den 20. April muss da ein deutliches Zeichen aus der Politik kommen. 

6.       Haben Sie einen Ausstiegsplan?

Selbstverständlich muss das öffentliche Leben, so schnell wie es geht, normalisiert werden. Mit Blick auf die Vorgaben von Bund und Freistaat wird das vor dem 20. April kaum möglich sein. Zunächst sollten vor allem die gewerblichen Betriebe wieder mit der Arbeit beginnen. Dies würde vielen Menschen die Angst vor dem Verlust des Jobs oder der Existenz nehmen. Dies kann natürlich nur in Einklang mit der Wiederöffnung von Schulen und Kitas einhergehen, da sonst das Problem der Kinderbetreuung steht. Bei Sport- und Kultureinrichtungen muss es sicherlich ein abgestuftes Verfahren geben. Ähnlich sieht das bei öffentlichen Veranstaltungen aus. Verschärfte Hygiene- und Abstandsregeln, die noch für einen längeren Zeitraum gelten, sollten das Ganze begleiten. 

7.      Wie bewerten Sie das Krisenmanagement der Stadtverwaltung?

Ich glaube, die hochdynamische Entwicklung der gesamten Situation hat den Apparat an die Grenzen der Belastungsfähigkeit geführt. Niemand hat bisher eine solche Herausforderung erlebt. Ich erkenne aber überall das Bemühen flexibel zu reagieren und dazuzulernen. Dass dabei natürlich auch Fehler gemacht werden, ist nachvollziehbar und entschuldbar. Nichtsdestotrotz kann und muss man natürlich auch Kritik üben. Persönlich hat mich sehr geärgert, dass unsere Stadtverwaltung bei den Ausgangsbeschränkungen vorgeprescht ist und noch vor dem Freistaat unsere Bürger weggesperrt hat. Bis heute ist mir nicht klar, auf Grundlage welcher Lageeinschätzung das erfolgt ist. Der zeitliche Vorlauf und die Kommunikation dazu fand ich desaströs. Hier hätte ich mir mehr Transparenz, insbesondre auch gegenüber dem Stadtrat gewünscht. 

8.      Was können politische Parteien und Stadträte zur Bewältigung der Krise  beitragen?

Zunächst geht es darum, das Handeln der Verwaltung kritisch zu begleiten und Druck zu machen, dass die bestehenden Restriktionen sobald als möglich gelockert oder ganz aufgehoben werden. Danach wird es darauf ankommen, wie wir die Folgen dieser Krise bewältigen. In wenigen Wochen werden die ersten Eckpunkte für den kommenden Doppelhaushalt 2021/22 abgesteckt. Ich erwarte, dass die politischen Akteure dabei aufeinander zugehen und alles tun, damit den Betroffenen in dieser Stadt so schnell wie möglich geholfen wird. Ob in Zeiten voraussichtlich sinkender Steuereinnahmen und erwartbarer Mehrausgaben dann noch teure Nischenprojekte finanziert werden können, um das eigene Klientel zu befriedigen, bleibt abzuwarten. Ich glaube da werden sich alle bewegen müssen. 

9.   Es heißt immer, in jeder Krise steckt eine Chance. Welche Chance birgt die Coronakrise in sich?

Eines sollten wir auf alle Fälle nicht tun: Uns nach der Krise hinstellen und sagen, dass alles gut gelaufen ist, weil wir so toll und schnell reagiert haben und deshalb vielleicht noch einmal mit einem blauen Auge davon gekommen sind. Ich warne vor einer solchen Überheblichkeit. Die Versuchung, sich so zu verhalten, ist vor allem in der Politik sehr groß. Wir sollten die bewältigte Herausforderung zum Anlass nehmen, um zu lernen und kritisch zu überprüfen, wo die Schwachstellen in unserem System liegen. Da können wir sicherlich auch auf kommunaler Ebene einige Dinge nachsteuern. Wenn uns das gelingt, werden wir als Gesellschaft insgesamt gestärkt aus der Krise hervorgehen.