Trauerspiel auf dem Heidefriedhof – Erinnerungspolitischer Kommentar von Holger Hase

Holger Hase
Holger Hase

Dieser Beitrag wurde erstmals am 10.2.2021 auf Facebook veröffentlicht.

Von Holger Hase (Kreisverband Dresden)

In den vergangenen vierzehn Tagen rückte der Dresdner Heidefriedhof mal wieder ins Licht der medialen Aufmerksamkeit. Anlass dafür waren die Schmierereien auf dem Ehrenhain für die Luftkriegstoten. Sowohl die Mahnmalswand am Ende der Anlage, als auch die „Dresden“-Stele am Kundgebungsplatz wurden mit politischen Parolen „verziert“. Derartiges wiederholt sich mit schöner Regelmäßigkeit leider fast jedes Jahr. Immer kurz vor dem 13. Februar fühlen sich radikale Geister dazu berufen, ihr verqueres Geschichtsbild der Öffentlichkeit auf diesem Wege kundzutun.

Graffiti-Schmierereien auf dem Dresdner Heidefriedhof
Graffiti-Schmierereien auf dem Dresdner Heidefriedhof (Bild: privat)

Unabhängig davon, dass diese Schmierereien die sittliche Unreife und die mangelhafte historische Bildung der Verursacher offenbaren, weisen die Graffitis auf seit Jahren ungelöste Probleme hin. Seit der Entscheidung der Stadtspitze im Jahr 2015, die traditionelle Protokollveranstaltung zum 13. Februar endgültig aufzugeben und den Ort für die Bürgerschaft „freizugeben“, hat sich die Lage zwar einigermaßen beruhigt. Nichtsdestotrotz sind damit die geschichtspolitischen Konfliktlinien nicht aus der öffentlichen Debatte verschwunden. Ähnlich dem Denkmal auf dem Altmarkt, ist der Heidefriedhof ein Ort mit sperriger Vergangenheit, der Umgang mit ihm entsprechend verkrampft, vielen Fragen bis heute unbeantwortet.

Die individuellen Schicksale der dort beigesetzten Kriegstoten spielen dabei meist nur eine untergeordnete Rolle. Das ist schon seit der Anonymisierung der Grabfelder in den frühen 1950er Jahren so. Was zählte, war stets die Form, nicht die Menschen. Deren Leid und Tod dienten der propagandistischen Inszenierung. In veränderter Form gilt dies auch für die Zeit nach 1990. Immer endeten die offiziellen Kranzniederlegungen an der Gedenkwand am Ende der Anlage. Dort wurde die Ehrenbezeugung abgegeben. Doch an der Wand liegt niemand. Wer dort steht, dreht den Toten den Rücken zu. Aber dieses Ritual wurde jahrzehntelang gepflegt und es fällt noch heute vielen schwer, sich von diesem Muster zu lösen. Denn das bauliche Korsett der Anlage scheint das Denken und Fühlen einzuzwängen. So als wolle es dem Besucher ein bestimmtes Verhalten vorschreiben.

Diesen Teufelskreis aus eingeübten Gedenkriten und baulichen Rahmenbedingen zu durchbrechen und durch neue zeitgemäße Formen des Erinnerns zu ersetzen, ist die Herausforderung der Zukunft. Es gibt dafür keinen „Masterplan“, allenfalls erste zaghafte Versuche bürgerschaftlicher Akteure in den vergangenen Jahren. Diese erinnerungskulturellen Neuansätze setzen auf niederschwellige Mitmachangebote für jedermann abseits des politischen Protokolls, ohne dass dabei der Gesamtkontext Krieg und nationalsozialistische Gewaltherrschaft vernachlässigt wird.

Die Möglichkeit zum individuellen Erinnern setzt allerdings voraus, dass es frei zugänglich Informationen zu den in den Grabfeldern Bestatteten existieren. Nirgendwo auf dem Heidefriedhof gibt es eine Möglichkeit die Namen der identifizierten Luftkriegstoten einzusehen. Gemeinschaftsgräber sind zudem nach den einschlägigen rechtlichen Bestimmungen des Gräbergesetzes und der dazu erlassenen allgemeinen Verwaltungsvorschrift mit Schriftplatten zu versehen, die eine individuelle Namensnennung zulassen. Auch dies ist auf dem Heidefriedhof nicht der Fall. Die Landeshauptstadt Dresden verstößt damit seit 1990 permanent gegen geltendes Recht, ohne dass dieser skandalöse Umstand die Verantwortungsträger in Kommunalpolitik und Verwaltung stören würde. Weder der Friedhofsträger, noch das zuständige Fachamt und schon gar nicht die politisch verantwortliche Bürgermeisterin lassen derzeit irgendeine Initiative diesbezüglich erkennen.

Hinzu kommt, dass mittlerweile auch denkmalpflegerisch Handlungsbedarf besteht. Eigentlich müsste der Memorialkomplex in den nächsten Jahren landschaftsgärtnerisch ertüchtigt werden. Vieles von der ursprünglichen Bepflanzung aus den 1960er Jahren ist mittlerweile kaputt. Zwar wirkt die Anlage nicht ungepflegt, aber man sieht deutlich, dass sie in die Jahre gekommen ist. Und es geht um Informationen. Wie sollen sich denn junge Menschen oder Gäste der Stadt die Entstehung und die geschichtspolitische Bedeutung dieser größten Kriegsgräberstätte Dresdens erschließen? Die Forderung nach einem Ausbau der Anlage zum Lernort steht seit Jahren im Raum, ist aber im „Ämter-Pingpong“ der Stadtverwaltung bisher kaum vorangekommen.

Problematisch aus heutiger Sicht ist auch der ehemalige Kundgebungsplatz mit dem Stelenkreis. Hier befindet sich vielleicht der schwierigste Ort der gesamten Memorialanlage. Im Rund stehen 14 Pfeiler. Die Beschriftung nennt unterschiedslos Konzentrationslager neben bombardierten Städten und solchen von Massakern und Hungerblockaden. Auch Dresden steht dort, als „Opfer“ von Krieg und Faschismus. Was zur Zeit der Entstehung 1965 Absicht war, stört heute empfindlich unser aufgeklärtes historisches Gewissen. Vereinzelte politische Initiativen diesen Ort zu überschreiben, haben noch zu keiner tragfähigen Lösung geführt.

Dessen ungeachtet arbeitet „die Bürgerschaft“ an einer Lösung der o.g. Probleme. Ein vom Dresdner Geschichtsverein e.V., MEMORARE PACEM. Gesellschaft für Friedenskultur e.V. und Denk Mal Fort! e.V. im November 2017 organisiertes Kolloquium mit dem Titel „Heidefriedhof Dresden. Lernen an konflikthaften Erinnerungsorten“ widmete sich Fragestellungen der künftigen Nutzung und vor allem der Lesbarkeit der überkommenen Memorialanlage. Unter ähnlichen Gesichtspunkten führte das Kunsthaus Dresden im Juni 2018 einen Workshop durch. Die Ergebnisse beider Initiativen, die zwischenzeitlich auch publiziert wurden, sollten nun zügig von Politik und Verwaltung aufgegriffen werden. Denn es bringt nichts, sich weiter wegzuducken und zu hoffen, dass sich das Problem von alleine löst. Die Schmierereien sollten da vielleicht als mahnender Zeigefinger verstanden werden, endlich etwas zu tun.

Zum Autor: Holger Hase ist Historiker, Stadtrat und Kreisvorsitzender der FDP Dresden.